MOLiS: Hintergrundinformation zum Isomerie-Begriff

Hintergrund
 

1. Definition der Isomerie:

Isomere Moleküle haben bei gleicher Zusammensetzung unterschiedliche Anordnungen ihrer Atome oder Atomgruppen. Dies führt zu isomeren Stoffen, die bei gleicher molarer Masse unterschiedliche Eigenschaften haben.

Die Original-Formulierung der IUPAC in englisch [43] bleibt etwas unklar:

"One of several species (or molecular entities) that have the same atomic composition (molecular formula) but different line formulae or different stereochemical formulae and hence different physical and/or chemical properties."

Problem 1: Es ist nicht einfach, Mesomerie von Isomerie abzugrenzen. Rouvray [nach 22] verlangte deshalb, dass isomere Spezies eine bestimmte Mindestlebensdauer (Stabilität) haben müssten, um als Isomere zu gelten. (Scharfe) Grenzwerte nannte er allerdings nicht. Möglicherweise läßt sich das Problem auf der energetischen Ebene lösen: Isomere sind Minima auf der Energiehyperfläche, mesomere Grenzformen nicht. Isomere sind daher im Gemisch nebeneinander beobachtbar, mesomere Grenzformen nicht.

Problem 2: Isotope verursachen Molekülmassenänderungen, ohne dass dies notwendigerweise in der Elementarformel erkennbar wäre. Solche Verbindungen bezeichnet man  besser als Isotopomere:

Beispiele: NH3 und N2H3*; oder H2O und 2H2O*.

*Die Symbole D für 2H und T für 3H sollten nach IUPAC nicht verwendet werden.

Bei spezifisch markierten Verbindungen wie H313C-COOH und H3C13COOH liegt tatsächlich Isomerie vor: man würde das Beispiel über die Konstitutionsisomerie, oder in komplexeren Fällen die Stereoisomerie beschreiben.

Problem 3: Hammer [2] weist mit Recht auf zwei sehr wesentliche Punkte hin:

  1. dass auch hier (wie in vielen anderen Fällen) klar zwischen der (submikroskopischen) Ebene einzelner Moleküle (isomere Moleküle) und der (makroskopischen) Ebene der Stoffe (isomeren Stoffen) unterschieden werden sollte; denn

  2. gleiche Molekülformeln können unterschiedliche Eigenschaften bedingen, OHNE dass es sich dabei um Isomerie handelt.

Begriffe wie Polymorphie, Polymerie und Stöchiometrie werden hier im Tutorium auf Ebene der Anfänger nicht weiter thematisiert (didaktische Reduktion: Vernachlässigung), sollten dem Lehrenden aber grundsätzlich bekannt sein. Als Beispiel führt Hammer [2] die cis-Zimtsäure an: als Molekül eindeutig beschrieben, gibt es dennoch drei kristalline Erscheinungsformen, die sich durch unterschiedliche Schmelzpunkte (42, 58 bzw. 68°C) doch deutlich unterscheiden (Polymorphie). Als Lösung bietet er an, dass man sich auf Schmelzen bzw. flüssige Phasen beschränken sollte: sind da die Eigenschaften immer noch unterschiedlich, hat man es mit Isomerie zu tun, ansonsten mit Polymorphie o.ä. So ganz eindeutig ist auch diese Maßnahme nicht: für Wasser z.B. gibt es mindestens zwei flüssigen Phasen, die in ihren Eigenschaften zu unterscheiden sind. Diese Diskussion in Schulen zu führen überfordert meines Erachtens Schüler wie Lehrer.


2. Geschichte des Isomerie-Begriffes

  • 1807 Thomson vermutet Isomerie bei Essigsäure C2H4O2 und Bernsteinsäure C4H6O4.

  • 1811 Dalton vermutet Isomerie bei Albumin und Gelatine.

  • 1811 Gay-Lussac vermutet Isomerie bei Saccharose (C6H12O6)-H2O, Gummi Arabicum (Arabinsäure) und Stärke (C6H12O6)n-(n-1)H2O.

  • 1816 Gay-Lussac und Berzelius beschreiben unterschiedliche Zinnsäuren SnO2*nH2O.

Diese Fälle erwiesen sich als Analysefehler bzw., im letzten Fall, als Strukturen mit wechselndem Wassergehalt (Zinn(IV)-oxid-Hydrate); die Existenz von Zinnsäuren ist auch heute noch nicht bestätigt [17].

  • 1823 Liebig, Gay-Lussac, Wöhler diskutieren die AgCNO-Struktur. Die Silberfulminat-Struktur ist auch heute noch nicht zweifelsfrei geklärt. [22]

  • 1825 Faraday vergleicht Ethen C2H4 mit Buten C4H8.

  • 1828 Wöhler überführt Ammoniumcyanat NH4NCO = CH4N2O in Harnstoff H2NCONH2 = CH4N2O und beweist die Isomerie somit.

  • 1830 Berzelius vergleicht "Weinsäure" C4H6O6 mit "Uveinsäure" C4H6O6; heute kennen wir beide als D- und L-Weinsäure im Gemisch, das Racemat.

  
 
 
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