Didaktik der Chemie / Universität Bayreuth

Stand: 20.09.10


Seminar zur Didaktik der Chemie I, WS 2000/01

Einführung in die Chemie
Ein schülerorientierter Einstieg

Vorschlag für eine Unterrichtseinheit anpassbarer Länge, erarbeitet im Rahmen des Seminars zur Didaktik der Chemie, WS 99/00, von Peter Pösch, Andreas Dörfler, Christian Maurer und Sandra Hollmach.

Gliederung:


1. Zielbeschreibung

Diese Unterrichtseinheit dient dazu, Schüler in der ersten Chemiestunde (bayerische Realschule, genauso gut aber auch Gymnasium) in die Arbeitsweise der Chemie als Wissenschaft einzuführen. Prinzipiell gibt es für den Zweck unterschiedliche Vorgehensweisen:

  1. Variante 1: "Show-Experimente" als Lehrerdemonstration.
  2. Variante 2: Diskussion mit Schülern über ihre Vorerfahrungen mit "Chemie".
  3. Variante 3: Gemäß Lehrplan beginnen mit dem in Bayern für die Jahrgangstufe 9. an erster Stelle genannten Thema "Stoffe: Reinstoffe und Gemische".

Alle Varianten wurden diskutiert. Ergebnisse:

  1. Obwohl durch die spektakulären Experimente aus Variante 1 zweifelsohne Interesse bei den Schülern geweckt wird, können jedoch falsche Vorstellungen über den Verlauf des folgenden Chemieunterricht erzeugt werden (nach Grell/Grell: "Strohfeuer-Effekt", "Enttäuschte Jugendliebe").  Die Durchführung der "Show-Experimente" erfordert meistens allein Lehrertätigkeit, Schüler können selbst nicht aktiv werden. Deshalb wurde diese Variante verworfen.
  2. Auch die Lehrer-Schüler-Diskussion über Vorerfahrungen (Variante 2) stellt nicht die ideale Einführung in die Schulchemie dar. Es werden zwar Schülerfragen und eigene Erfahrungen im Bezug auf die Chemie eingebracht. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich mangels Erfahrungen mit "Chemie" zu viele Schüler nicht an der Diskussion beteiligen (meistens ist das Schüler/Lehrer-Gespann neu) und gedanklich "ausklinken". Genauso ist es leicht möglich, dass der Lehrer zu stark lenkend eingreift, um den Schülern Begriffe zu entlocken, auf die er hinaus will.
  3. Die Variante 3 ermöglicht, in Anlehnung an den Lehrplan, eine einführende Unterrichtseinheit in die Chemie mit einer Vielzahl von Schülerexperimenten. Sie birgt die Chance der aktiven Beteiligung der Schüler am Unterricht und der direkten Begegnung mit chemischen Problemen, OHNE dass vorher irgendwelche Grundlagen gelegt werden müssen. Der Unterricht läuft nach dem Motto: "mittendrin statt nur dabei!". Für den Lehrer bedeutet dies zwar eine umfangreichere Vorbereitung für den Unterricht und erfordert ein erhöhtes Augenmerk auf das Einhalten von Disziplin, was bei einer neuen Klasse eine Herausforderung sein kann. Die mögliche Selbsttätigkeit auf Seiten der Schüler rechtfertigt den Mehraufwand aus unserer Sicht in jedem Fall.

Die im Rahmen des Seminars entworfene Unterrichtseinheit wurde aus der 3. Variante unter Einbeziehung von Elementen der 2. Variante entwickelt. Ziele der Unterrichtseinheit aus didaktischer Sicht sind, Schüler gleich zu Beginn

  • an die Lösung chemischer Problemstellungen heranzuführen
  • ohne dabei fachlich zu viel Vorleistungen erbringen zu müssen.
  • Es soll die Vielfalt von Stoffen und ihre Bedeutung in allen Lebensbereichen als Ausgangspunkt für die Erkundung im Unterricht dienen.
  • Die Schüler werden mit der aktiven Durchführung einfacher "chemischer" Experimente erkennen, dass uns der Alltag mit vielen chemischen Fragen konfrontiert, auch dort, wo wir es überhaupt nicht vermuten, etwa in Küche und Freizeit.
  • Dies soll dazu führen, dass die Experimente nicht allein als "akademisch", sondern als nützlich und interessant empfunden werden.
  • Die ausgewählten Experimente gehorchen dem didaktischen Prinzip der Ausbaufähigkeit: auf die meisten kann zu späteren Zeitpunkten des fachlichen Unterrichts zurückgegriffen und Teilaspekte erklärt, wiederholt, ausgeweitet werden.

Die Unterrichtseinheit ist sehr umfangreich (ca. 5 Stunden) und NICHT als untrennbare Einheit gedacht. Ganz im Gegenteil: je nach Schülerinteresse oder Lehrerneigung können 1-2 der 4 Themen herausgegriffen werden. Jedes Thema kann weiterhin bis auf ein minimales Gerüst von 2 zu vergleichenden Materialien reduziert werden. Das Umgehen mit einer singulären Substanz führt zu unnötigen Schwierigkeiten.


2. Aufbau der Unterrichtseinheit

2.1. Einstieg

Zum Einstieg regt der Lehrer eine Stichwortsammlung über Berufe an, die mit Chemie und chemischen Stoffen zu tun haben. Zu erwarten ist, dass die Schüler nur sehr typische Chemieberufe, wie z.B.

  • Diplomchemiker,
  • Chemisch-Technische Assistent/in (CTA),
  • Biochemiker, eventuell 
  • Biologe etc... (das Schulbuch "Elemente der Zukunft Chemie", Band 2 macht es vor), nennen.

2.2. Durchführung

Anschließend wird durch den Einsatz von Schüler-Experimenten zu den Themen

  • Kunststoffe,
  • Gewebe,
  • Holz und
  • kristalline Stoffe.

in arbeitsteiligen Gruppen an Chemie im Alltag angeschlossen. Die Schüler werden anhand von Arbeitsblättern angeleitet, den Verlauf und die Ergebnisse von Experimenten zum Thema Stoffe und Stoffgemische genau zu beobachten und zu beschreiben.  Dabei stehen direkt beobachtbare und ohne Vorwissen erklärbare Eigenschaften  im Vordergrund. Bei der Auswahl der Stoffe und Gemenge wurde besondere Aufmerksamkeit auf ihre

  1. Lebensnähe (z.B. Zucker/Salz statt Sand/Iod, Zitronensäure statt Schwefelsäure)
  2. Ausbaufähigkeit, also mögliche Bezüge zum späteren Chemieunterricht der gleichen oder einer folgenden Jahrgangstufe und
  3. fachübergreifendes Potenzial (Physik, Biologie, Werken...) verwendet.

Wir machen zu vier Bereichen Vorschläge:

Thema Lehrziele Schema mit
Querbezügen
Informationen
für Lehrer
Arbeitsblatt
für Schüler
Kunststoffe Unterscheidung von PE und PS Kunststoffe Kunststoffe Kunststoffe
Gewebe Unterscheidung von Wolle und Baumwolle Gewebe Gewebe Gewebe
Holz Unterscheidung von Laub- und Nadelholz Holz Holz Holz
kristalline Stoffe Unterscheidung von Salz, Zucker, Zitronensäure und ihren Gemengen kristalline Stoffe kristalline Stoffe kristalline Stoffe

Aus Spalte 3 gelangen Sie zu je einer Schemadarstellung, aus der Bezüge der Experimente zur folgenden Chemie in der gleichen Jahrgangsstufe und zu anderen Fächern (gleiche und folgende Jahrgangsstufen) ersichtlich sind.

Spalte 4 führt den Lehrer zu vollständigen Versuchsanleitungen.

Spalte 5 liefert Arbeitsblätter für Schüler, die zwar den Versuchsanleitungen für Lehrer entsprechen, aber keine unnötigen Hinweise zur Vorbereitung, Lösungen für Beobachtungsaufgaben oder Interpretationen enthalten. Sie können die Arbeitsblätter stets auf 2 Seiten (zum Vervielfältigen auf Vor- und Rückseite) ausdrucken. Stellen Sie ggf. die Seitenränder bei den Druckeroptionen über den Browser auf 1 cm (oben, unten, rechts, links) ein.


3. Beobachtungen der Schüler

Manchmal steht man auch im Alltag vor der Frage, um welchen farblosen Stoff aus einer Reihe möglicher es sich in einem unbeschrifteten Behälter handelt. Die hier vorgeschlagenen Schüler-Experimente besitzen einen starken Alltagsbezug. Die Schüler erkennen bei die Durchführung, dass die Chemie zur Aufklärung dieser Fragen befähigt und dass es noch viel mehr "versteckte" Chemie in unserem Alltagsleben gibt. Chemie muss nicht immer "stinken" und "gefährlich" sein.


4. Diskussion der Ergebnisse

Diese Unterrichtseinheit verdeutlicht, dass man Stoffe durch einfache Experimente klassifizieren kann. Die Experimente besitzen ein hohes aktivierendes Potential für Schüler. Dabei werden sie mit einfachen Methoden auf die Bedeutung des Experimentierens in der Chemie aufmerksam gemacht. Der Lehrer kann Schüler auf ihrer Erfahrungsebene abholen und sie mit schon bekannten Stoffen leichter in die fachsystematische Chemie mit noch vielen anderen Erlebnissen einführen. Dem Schüler wird nahe gebracht, dass sich die Chemie vor allem mit der Beschreibung von Stoffen, ihrer Isolierung von Reinstoffen aus Gemischen und ihrer Identifizierung beschäftigt. Dabei sollte er erkennen, dass die Chemie nicht nur in naturwissenschaftlichen Bereichen zu finden ist, sondern, dass sogar die/der einfache Hausfrau/-mann mit Prozessen der Chemie im Alltag konfrontiert wird.


5. Abschluss

Am Ende dieser Unterrichtseinheit werden die Schüler die Frage nach chemierelevanten Berufen oder Chemiebezügen zum Alltag sicherlich anders beantworten, als sie es in der Einstiegsphase getan haben. Wir erwarten zusätzlich die Nennung auch von Berufsbildern wie

  • Bäcker,
  • Koch,
  • Kfz-Mechaniker,
  • Winzer etc.

Die Einheit wurde im Schuljahr 01/02 erprobt und tatsächlich war die zweite Schülerantwort: "eigentlich alle".


6. Schnittstelle zur folgenden Einheit

In der Skizze sind Grundbegriffe zu ersehen, die während der Unterrichtseinheit entweder explizit als Begriff mit Definition oder implizit als Phänomen oder unkommentierte Beobachtung vorkamen.


E-Mail: Walter.Wagner ät uni-bayreuth.de