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Ausführlicheres Zitat:
„In einem unlängst veröffentlichten Aufsatze mit gleicher Überschrift habe ich als eine der Ursachen des heutigen Rückganges der chemischen Forschung in Deutschland den Mangel an allgemeiner und zugleich auch gründlicher chemischer Bildung bezeichnet, woran eine nicht geringe Zahl unserer chemischen Professoren zum großen Nachteil unserer Wissenschaft laboriert. Folge davon ist das Überhandnehmen des Unkrauts des gelehrt und geistreich scheinenden, in Wirklichkeit trivialen, geistlosen Naturphilosophie, welche vor 50 Jahren durch die exakte Naturforschung beseitigt, gegenwärtig von Pseudonaturforschern aus der die Verirrungen des menschlichen Geistes beherbergenden Rumpelkammer wieder hervorgeholt und, gleich einer Dirne modern herausgeputzt und neu geschminkt, in die gute Gesellschaft, wohin sie nicht gehört, einzuschmuggeln versucht wird. Wem diese Besorgnis übertrieben scheint, der lese, wenn er es vermag, die kürzlich erschienene, von Phantasie-Spielereien strotzende Schrift der Herrn van´t Hoff und Herrmann über ´die Lagerung der Atome im Raume´. Ich würde dieselbe, wie manch andere, ignorieren, wenn nicht ein namhafter Chemiker
(gemeint: Wislicenus; Anm. der Autoren) sie in seine Protektion genommen und als verdienstliche Leistung warm empfohlen hätte. Ein Dr. H. J. van´t Hoff, an der Thierarzneischule von Utrecht angestellt, findet, wie es scheint, an exakter chemischer Forschung keinen Geschmack. Er hat es bequemer erachtet, den Pegasus zu besteigen (offenbar der Thierarzneischule entlehnt) und sicher ´la chimie dans l´espace´ zu verkünden, wie ihm auf dem durch kühnen Flug erklommenen chemischen Parnass der Atome im Weltraum gelagert erschienen sind... Es ist bezeichnend für die heutige kritikarme und Kritik hassende Zeit, daß zwei so gut wie unbekannte Chemiker, der eine von einer
Thierarzneischule, der andere von einem landwirtschaftlichen Institute, die höchsten Probleme der Chemie, welche wohl niemals gelöst werden, speciell die Frage nach der räumlichen Lagerung der Atome, mit einer Sicherheit beurtheilen und deren Beantwortung mit einer Dreistigkeit unternehmen, welche den wirklichen Naturforscher geradezu in Staunen setzt.“ |
Aus: H. Kolbe, Zeichen der Zeit II, J. prakt. Chem.
15 (1877), S. 472 ff; nach NiU-C Heft 13 (1992), S. 88ff. |
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