Didaktik der Chemie / Universität Bayreuth

Stand: 20.09.10

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Computereinsatz im Chemieunterricht

Das Internet im Dienst des Chemieunterrichts

Teil 3

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4. "Kommt" das Internet in die Schule?

Das Internet IST in den Schulen; die Frage ist nur noch, ob es auch im Unterricht ist.

Auch wenn heute alle oberfränkischen Schulen Zugriff auf das Internet haben, bedeutet das noch keinen besonderen Durchbruch für den Unterricht:

bulletDie Schulen unterscheiden sich zurzeit nur durch die Zugangsgeschwindigkeit. Die meisten dürften über eine DSL-Geschwindigkeit verfügen, selten noch ISDN.
bulletDie vernetzten Rechner stehen meistens im Computerraum, mittlerweile zunehmend in der Bibliothek oder Pausenhalle mit direkter Zugriffsmöglichkeit für Schüler oder im Lehrerzimmer und Fachraum mit direkter Zugriffsmöglichkeit für Lehrer.
bulletDer Computer im Klassenzimmer, in den 70er Jahren schon vorausgesagt, ist noch lange nicht Wirklichkeit. Grundschulen sind da etwas voran, in Realschulen und Gymnasien werden zur Zeit die Fachräume ausgestattet.
bulletFast jeder Lehrer hat mittlerweile das Internet schon für die Unterrichtsvorbereitung genutzt, allerdings nur eine Minderheit auch im Klassenzimmer.
bulletDie Fachdidaktiken nehmen sich zwar der Thematik an, um fachbezogene und fachübergreifende Einsatzmöglichkeiten der Informationen aus dem Netz auszuloten, es kann aber noch mehrere Jahre dauern, bis fundierte Ergebnisse und Produkte vorliegen.

Pflüger räumt in einem Vortrag [1] sowohl mit "Überzeugungen" der Skeptiker als auch mit solchen der Euphoriker auf und entlarvte sie als Mythen:

bulletdas Internet ist vom Niedergang durch Kommerz und "Verslummung" oder durch das Tummeln ideologischer Verschwörer weit entfernt.
bulletBrowser führen genauso wenig zu sozialer Vereinsamung wie das Briefeschreiben, das die reale Begegnung auch nicht überflüssig gemacht hat.
bulletGenauso wenig führt das WWW bei seinen Nutzern zu einem "Realitätsverlust durch Fixierung auf die Maschine Computer" oder zur "Entsinnlichung durch virtuelle Ersatzhandlungen".
bulletAuch der befürchtete Zerfall lokaler Gemeinschaften wird ausbleiben: Projekte aus Dänemark und Californien, die so weit gediehen sind, dass man berechtigte Schlüsse ziehen darf, weisen gerade auf eine Stärkung lokaler Beziehungen durch globale Vernetzung hin.
bulletDas papierlose Büro, die gesparten Dienstreisen, das Netz als "Therapieinstrument bei Identitätskrisen" oder der fromme Wunsch nach Abbau von Hierarchien gehört genauso in das Reich der Mythen.

Dennoch mögen ein paar der optimistischsten Prognosen für die mittlere Zukunft vorgestellt werden:

bulletEs wird eine für PCs, MacIntosh- und Unix-Rechner gemeinsame Bedienoberfläche (für das WWW) geben (kommerziell schon da: WebOffice von WebEx), die auch Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Adressenverwaltung und Grafikbearbeitung einschließt.
bulletTextverarbeitung geschieht von Haus aus in XML, nicht mehr in originären Formaten
bulletDas Internet verschmilzt mit dem Fernsehen und wird Massenmedium (TV am PC ist realisiert als Internet am TV).
bulletDas Internet ersetzt den Telefon-Festanschluss (mittelfristig) und erweitert die Kommunikation auf Bilder.
bulletInformationsbeschaffung über das Internet wird die Regel, Bücher werden zunehmend die Ausnahme sein.
bulletNeben virtuellen Bibliotheken und Arbeitsgruppen wird es das virtuelle Klassenzimmer für erwachsene Schüler geben: der Aufenthaltsort des Schülers spielt keine Rolle, Zusammenarbeit ist jederzeit möglich, falls gewünscht.

Denkt man an eine Prognose/Befürchtung der 70er Jahre, als der programmierte Unterricht ausprobiert wurde: „Da wird der Lehrer überflüssig.“ könnte man vermuten, dass so mancher der o.a. Punkte uns in 10 Jahren wahrscheinlich merkwürdig vorkommen wird.

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5. Wer nutzt wie das Internet?


Folie: Deutschland im europäischen Vergleich, Stand 2007 [3].

Folie: Altersgruppen bei der WWW-Nutzung

Größtes Problem bei der Nutzung des Internet ist zur Zeit der mangelnde Zugang zu Breitbandverbindungen (DSL) im ländlichen Raum.

W3B befragte die deutschsprachigen WWW-Nutzer, welche Punkte hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des Internet am dringendsten gelöst werden müssten. Das Ergebnis:

bullet35,8% Schutz persönlicher Daten der Nutzer
bullet25,3% Verbesserte Such- bzw. Recherchemöglichkeiten
bullet16,7% Elektronischer Zahlungsverkehr
bullet11,3% Datenverschlüsselung
bullet  6,0% Zensur bestimmter WWW-Seiten
bullet  5,0% Sonstiges.

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6. Internet und lernen

Man ist sich heute im Klaren darüber

bulletdass der Mensch auch in Zukunft ein Leben lang lernen muss, um Schritt mit den Erfordernissen der Arbeitswelt zu halten; und
bulletdass das Internet Lernen unterstützen kann.

Was man nicht weiß ist, wie Lernen geschieht. Forschungen dazu dauern an und werden in absehbarer Zeit keine greifbaren Ergebnisse liefern. Bis Ergebnisse vorliegen, muss aber auch gelehrt und gelernt werden. Man zieht sich aus der Affäre, indem Informationen angeboten werden:

bulletmassenweise
bulletjederzeit, leicht und allen Ortes verfügbar
bulletunstrukturiert.

Jedes Medium hat für Unterrichtszwecke seinen spezifischen Nutzen, auch das Internet. Es stellt sich nicht die Frage des ob, sondern

bulletunter welchen Bedingungen und
bulletmit welchen unterstützenden Maßnahmen eine effektive, aktive Lernförderung zustande kommt.

Die Entscheidung wiederum, wie eine Lernumgebung zu gestalten ist, lässt sich erst dann optimal treffen, wenn bekannt ist

bulletwer
bulletwas
bulletin welcher Zeit
bulletwo und
bulletzu welchem Zweck lernen will / soll.

            

Folie: Das Internet als Medium

Klar ist momentan nur eines: Lehrer müssen vermitteln

bulletHilfen zur Strukturierung des eigenen Lernens,
bulletHilfen zum Umgang mit großen Datenmengen und
bulletHilfen zum Schutz der Privatsphäre bzw. des Eigentums.

Hindernisse bei der Umsetzung sind momentan [2]:

bulletdas institutionelle Beharrungsvermögen (von Universitäten, Schulen und Kostenträgern),
bulletmangelnde Erfahrung bei Lehrern, und
bulletder zusätzliche zu leistende (unbezahlte) Arbeitsaufwand (permanente Fortbildung).

 

Folie: Praktische Probleme bei der Online-Nutzung in Schulen

Dabei sollte uns (und den Finanzpolitikern) klar sein, dass seinerzeit die Erfindung des Buchdrucks die Ausbildung weder billiger noch einfacher, ganz sicher aber besser gemacht hat.

Eine Qualitätsgarantie ist Multimedialität freilich nicht: zu häufig muss die Technik als (vermeintliche) Lösung für inhaltliche oder didaktische Defizite herhalten. Deshalb sind Tendenzen zu begrüßen, dass einerseits low-tech-Entwicklungen im Hard- und Softwarebereich angestrebt werden, andererseits Inhalte und Methoden in der Lehre besser reflektiert werden, sobald die Publikation im WWW (auf Wunsch der Zuhörer bzw. Schüler) "droht".

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7. Zusammenfassung

Das Internet ist sicher nicht die Lösung für didaktische Defizite in der Ausbildung oder der Praxis. Wer herkömmliche (frontale) Unterrichtssituationen bevorzugt, wird wenig anknüp-fungspunkte finden, bei denen er den Computer einsetzen kann:

bulletMesswerterfassung (Internet als Quelle für Versuchsanleitungen)
bulletDrill-and-practice-Lernprogramme, oft nur einmalig eingesetzt.

Das Internet als Kommunikationsmedium kann / muss ein Vehikel sein, mit dem neuere (bessere?) Unterrichtsverfahren (Gruppen-, Projektarbeit, WWW als Informationsquelle, Datenbanken, Freiarbeit, Lehrprogramme) in die weiterführenden Bildungsinstitutionen Einzug halten könnten. Leider bleiben Initiativen der bayerischen Kultusministers H. Zehetmair so gut wie die von M. Hohlmeier solche verbaler Art, nämlich, neben der Hauptschule auch in Realschulen und Gymnasien den 45-Minuten-Takt vorsichtig aufzulösen. Das würde endlich Möglichkeiten für diese mehr schülerzentrierten (jedoch zeitintensiveren) Unterrichtsverfahren öffnen, bei denen selbständiges Arbeiten, recherchieren, ordnen und auswerten eine viel größere Rolle spielen könnte. Die Hoffnungen liegen 2002 in schlechten (!) Ergebnissen bei PISA und im Ländervergleich.

Ganz sicher wird sich in diesem Zuge die Rolle des Lehrers verändern: weg vom mehr oder weniger exklusiven Wissenslieferanten hin zum "Manager" für den selbständigen Wissenserwerb durch den Lernenden. Die "Hoffnung" so mancher, das Internet würde bald wieder in der Versenkung verschwinden, ist in weite Ferne gerückt. Wohl oder übel werden wir Farbe bekennen müssen, frei nach Goethe:

"Wie hast du es denn mit dem Internet,
dem WWW und ftp...?"

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Quellen:

1. Pflüger, J.-M.: Neue Erfahrungen mit Kommunikationstechnologien. Vortrag für die Ev. Akademie Tutzing, 1999.

2. Coy, W.: Telelernen: die Zukunft des Wissenserwerbs? Vortrag für die Ev. Akademie Tutzing, 1999.

3. http://resources.emartin.net/blog/pic/Europe-Internet-Usage.jpg. 11.04.2008

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Download der Folien als PowerPoint-Präsentation. ppt 388k

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E-Mail: Walter.Wagner ät uni-bayreuth.de