27.05.2008 - Aus der HirnforschungVon wegen Geschmackssache
Schönheit ist ein grundlegendes Maß für Ordnung und daher
kulturunabhängig
Schönheit liegt entgegen der allgemeinen Annahme nicht im Auge
des Betrachters. Vielmehr sind die Kriterien für Schönheit fest im
Gehirn verankert und daher kulturunabhängig. Der wichtigste
Bewertungsfaktor ist dabei die Symmetrie. Sie ist wichtig für den
Menschen, weil sie ihm hilft, in einer komplexen Welt
Regelmäßigkeiten zu entdecken und den optimalen Partner zu finden.
Schönheit ist wie eine Sucht: Fast jeder jagt ihr hinterher –
nicht selten unter großen persönlichen Opfern –, der
Kosmetikindustrie bringt sie jedes Jahr 160 Milliarden Dollar ein
und Schönheitschirurgen sind gefragt wie nie zuvor. Trotzdem kann
kaum jemand definieren, was Schönheit eigentlich ist. Liegt sie im
Auge des Betrachters, wie der Volksmund sagt? Gibt es im Gehirn eine
Instanz, die auf Schönheit programmiert ist? Existiert gar ein
ultimatives Schönheitsideal, das alle Menschen teilen?
... Sicher ist mittlerweile: Schönheit ist so wichtig für
den Menschen, dass die Vorliebe dafür angeboren ist. So fesseln
schöne Gesichter schon bei Säuglingen die Aufmerksamkeit länger als
andere, und bei Erwachsenen aktivieren sie das Belohnungszentrum –
es schüttet den Botenstoff Dopamin aus und vermittelt ein angenehmes
Wohlgefühl.
Doch worauf genau reagiert das Gehirn? Hinweise darauf geben
Umfragen, in denen Menschen aus aller Welt angeben sollten, was sie
schön finden. Die Resultate waren zwar unterschiedlich, ließen sich
aber auf einen gemeinsamen Nenner bringen – eine schöne Frau hat ein
ebenmäßiges Gesicht, glatte Haut, glänzende Haare, große Augen und
weiße Zähne. Auch Seifenblasen sind schön, Rosenblüten, Diamanten,
das Pantheon und das Taj Mahal. Sogar einfache Glassplitter,
zumindest dann, wenn sie sich in einem Kaleidoskop befinden.
Was alle diese Dinge verbindet: Sie sind auf irgendeine Art und
Weise symmetrisch. Ist also Ordnung das entscheidende Kriterium für
Schönheit? Es sieht ganz danach aus. Sogar eine Formel gibt es für
diesen Zusammenhang, die ein amerikanischer Mathematiker bereits in
den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgestellt hat. "M = O
/ C" lautet sie, wobei M, das ästhetische Maß, um so größer ist, je
größer die Ordnung O bei einer gleichbleibenden Komplexität C ist.
Etwas später, in den 1950er Jahren, wurden dann Nervenzellen im
Gehirn entdeckt, die speziell auf ordentliche Muster reagieren.
Auch ein Experiment aus den 90er Jahren deutet in die gleiche
Richtung. Darin wurden Testpersonen gebeten, ein weibliches Gesicht
am Computer so zu verändern, dass es schön wird. Alle Probanden
vergrößerten die Stirnpartie und verkleinerten gleichzeitig den
unteren Teil des Gesichts, sie machten die Augen größer und die
Lippen voller. Am Ende folgten die Proportionen dem "Goldenen
Schnitt", einem künstlerischen Maß für Ästhetik, bei dem zwei Größen
etwa im Verhältnis 1,618 zu 1 stehen.
Genau dieses Längenverhältnis ruft auch im Gehirn eine besondere
Reaktion hervor, haben erst kürzlich Wissenschaftler aus Rom und
Parma entdeckt, als sie Freiwilligen Bilder von verschiedenen
Skulpturen zeigten und dabei die Hirnaktivität überwachten. Das
Ergebnis: Ausschließlich die Figuren, die nach dem Goldenen Schnitt
entworfen worden waren, aktivierten ein Hirnareal namens Inselrinde
– ein Bereich, der mit dem Bewerten von Emotionen und speziell dem
Entstehen von Liebesgefühlen in Verbindung gebracht wird. Die
Inselrinde scheint also eine Art Ästhetikinstanz zu sein, die auf
der Basis von Ordnung und Symmetrie die Schönheit eines Objekts
bewertet, sind sich die Wissenschaftler sicher.
Das lässt jedoch auch den Umkehrschluss zu, erläutert "bild der
wissenschaft": Schönheit ist demnach nichts anderes als eine
Nebenwirkung der Ordnungsliebe des Menschen, seines Drangs, überall
nach Regelmäßigkeiten zu suchen. Diese heben sich nämlich vom
Zufälligen ab und vermitteln das Gefühl, dass trotz aller
Komplexität mitten im Chaos noch Ordnung herrscht und die Welt
klaren Regeln folgt Das wiederum vermittelt Sicherheit und schafft
Vertrauen – und das empfindet man als schön.
So wurde die Schönheit zu einem zentralen biologischen Signal,
das fest im Gehirn verankert ist. Und wozu? Fragt man
Evolutionsbiologen, ist die Antwort wie bei fast allem, was der
Mensch tut: Die universelle Schönheitsformel soll den
Fortpflanzungserfolg optimieren. Denn viele Merkmale, die ein
Gesicht oder einen Körper symmetrisch und damit schön machen, sind
gleichzeitig Kennzeichen für ein starkes Immunsystem und eine
kräftige Konstitution.
Diese Kriterien können dank des ausgeklügelten hirneigenen
Bewertungssystems innerhalb von Bruchteilen von Sekunden beurteilt
werden – so schnell erfasst nämlich der Mensch die Attraktivität
eines Gegenübers. Das wiederum bringt eine ernüchternde Konsequenz
mit sich: Die sprichwörtliche "Liebe auf den ersten Blick" ist
demnach nicht das intuitive Erfassen der edlen inneren Werte eines
anderen, sondern eine rein instinktive Reaktion auf Äußerlichkeiten.
Claudia Eberhard-Metzger: "Keine Frage des Geschmacks" bild der
wissenschaft 6/2008, S. 46, vorangekündigt unter www.wissenschaft.de
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