Tautomerie - Hintergrundinformationen für Lehrer

Hintergrund
 


Die in MOLiS gegebene Definition für Tautomerie ist der kleinste (eigentlich: einfachste) gemeinsame Nenner, der gerade noch als richtig durchgehen kann:

Unter Tautomerie versteht man die Existenz von im Gleichgewicht stehenden Verbindungen, die sich nur durch die Verteilung der Bindungselektronen und (meistens) die Lage eines Wasserstoff-Atoms unterscheiden.

In einer grundlegenden Arbeit hat Zefirov [46] festgestellt, dass sowohl eine klare Definition als auch eine in-Beziehung-Setzung der verschiedenen Formen in der Literatur fehlt. Konsequenterweise hat er zusammengestellt, was man zu dieser Isomerieform dazuzählen könnte:

1 Monocylische Tautomerien
   1.1 in monomolekularen Systemen:
        1.1.1 elektrocyclische Tautomerie
        1.1.2 sigmatrope Tautomerie
        1.1.3 Resonanztautomerie in unpolaren Molekülen (mit Hückel-Aromaten als
                  Teilmenge; Ausweitung auf nichtaromatische Systeme).
   1.2 in Mehrkomponenten-Systemen
        1.2.1 Addition/Eliminierungs-Tautomerie
        1.2.2 Cycloaddition
        1.2.3 Cyclodismutation

2. Bi- und mehrcyclische Tautomerien

Allen Formen gemeinsam ist

  • das Vorliegen eines Gleichgewichtes*,
  • die Gültigkeit für verschiedene Topologien; praktischerweise 3-6 Reaktionszentren (Bsp. a-b-c-x für 4 Zentren), theoretisch aber unbegrenzt;
  • Monomolekularität in dem Sinn, dass die Ausgangs- und die Endstruktur sich nur durch die Position von Bindungen unterscheiden.**

Unterschiedlich sind:

  • die wandernde Gruppe (H ist häufig, möglich aber auch z.B. Alkyl-, Acyl-, Silyl-); möglich aber auch, dass gar keine Gruppe wandert (siehe Typ 1.1.3)***
  • die Länge der gewanderten Strecke (je nach Topologie-Typ, also Zahl der Reaktionszentren).

Jeder spezielle Fall von Tautomerie kann bisher einem der 6 Typen (nur monocyclische) zugeordnet werden.

Die in MOLiS angesprochenen Tautomerien, die wir für schulrelevant halten, gehören fast ausschließlich dem Typ 1.1.2, monomolekulare, sigmatrope Tautomerien an (Keto-Enol-, Nitroso-Oxim-, Aci-Nitro-, …), die wandernde Gruppe ist stets H.


* Die Schwierigkeit besteht darin, dass es sich eigentlich bei allen Reaktionen um Gleichgewichte handelt. Wo zieht man die Grenze zu einer „normalen“ chemischen Reaktion? Dies Problem kann auch Zefirov in seiner (gegenüber Laar) erweiterten Theorie nicht lösen. Deshalb wird die praktikablere, wenn auch weniger scharfe Definition von Laar für Lehrzwecke weiter verwendet (das nebeneinander Vorliegen der beiden im Gleichgewicht stehenden Formen in nennenswertem Umfang und die leichte gegenseitige Umwandelbarkeit bei „normalen“ Temperaturen). [47]

** Hier berührt die Definition den Begriff „Konformerenübergang“ und geht vom sehr klassischen Bindungsbegriff „2-Zentren-2-Elektronen“ aus. [47]

* Hier verschwimmt die Grenze zur Bindungs- bzw. Stellungsisomerie. Zefirov weist ausdrücklich auf die unklare Begriffsbildung hin. [46]

 
 
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