Antwort von AkadOR W. Wagner, Didaktik der
Chemie: Die Frage klingt einfach und eindeutig beantwortbar, ist
es aber nicht. Je nachdem, wie genau man hinschaut, werden die Vorgänge
schwieriger zuzuordnen. Definitionen in erster Näherung:
 | Chemische Vorgänge führen zu Stoffartänderungen, d.h. aus einem
Stoff wird ein anderer (z.B. Wachs verbrennt zu Wasser und CO2). |
 | Physikalische Vorgänge führen zu Zustandsänderungen, d.h. wenn
die entsprechende Einwirkung aufhört, kehrt der Stoff in den
ursprünglichen Zustand zurück (z.B. Wachs schmilzt unter dem Einfluß
von Wärme; wird es kälter, erstarrt Wachs wieder). |
Damit lassen sich die ersten beiden Fragen beantworten:
1. Eine Kerze brennt:
 | Es gibt einen physikalischen Teil: Wachs schmilzt und
verdampft - ist aber immer noch Wachs. |
 | Nun folgt der chemische Teil: der Wachsdampf reagiert unter
Feuererscheinung mit dem Luftsauerstoff zu Wasserdampf und CO2
und ist somit (logischerweise) kein Wachs mehr. |
2. Zucker wird in Wasser gelöst: vorher Zucker, nachher
Zucker; wenn man Wasser verdunsten läßt, bleibt Zucker zurück.
Schlußfolgerung: physikalischer Vorgang.
Hinweis: Schwieriger wird es bei Kochsalz! Man sollte nicht
vorschnell vom Lösen von Zucker auf das Lösen von Kochsalz
schließen. Als Ionenverbindung dissoziiert NaCl in Wasser und
erhält andere Eigenschaften (z.B. Leitfähigkeit). Auf der
anderen Seite ist es immer noch Kochsalz, nachdem man Wasser
verdunsten gelassen hat. Dies ist eine Grauzone, besonders wenn
man sich die Bindungsverhältnisse anschaut. Deshalb:
Definition in zweiter Näherung: Bei chemischen
Vorgängen werden chemische Bindungen gebrochen bzw. neu geknüpft
und/oder es geschieht ein Elektronenaustausch (Redox).
In NaCl wird die Ionenbindung "gebrochen" und durch polare
Wechselwirkungen zum Wasser (Hydrathülle) ersetzt. Beim
Verdunsten wird alles wieder rückgängig gemacht. Zwei chemische
Prozesse in einer Kette, die sich gegenseitig rückgängig machen.
3. In erster Näherung ist das Mischen von Ethanol mit Wasser
ein physikalischer Vorgang: Ethanol behält seine wesentlichen
(chemischen) Eigenschaften. Guckt man aber genauer hin, ist die
Einordnung nicht mehr so eindeutig:
 | Ethanol ist eine sehr schwache Säure, die in Wasser das tut
was Säuren tun sollen, nämlich dissoziiert. Deshalb wird eine
"Mischung" teilweise andere Eigenschaften als Ethanol absolut
haben, weil nun Ethanolat-Anionen und Oxonium-Kationen
zusätzlich vorliegen. |
 | Zwischen Ethanol- und Wassermolekülen bilden sich
Wasserstoffbrückenbindungen anderer Stärke aus als zwischen den
gleichartigen Molekülsorten. Deshalb kommt es z.B. zu
erheblicher Volumenkontraktion, weil die Molekülabstände kleiner
werden. Es werden also Wasserstoffbrücken zwischen zwei
Ethanolmolekülen gebrochen und zu Wasser neu geknüpft, was somit
nach obiger Definition ein chemischer Vorgang wäre. |
4. Die Vorgänge bei Mineralwasser sind ebenfalls gemischter
Natur. CO2 löst sich in Wasser physikalisch (das Molekül
CO2 bleibt als solches erhalten und wird lediglich von
Hydrathüllen umgeben) und reagiert zum Teil (chemisch) nach der
Gleichung CO2 + H2O ---> H2CO3
(Kohlensäure). Wenn es nach dem Öffnen der Flasche entweicht, kann
das auf Grund des erniedrigten Druckes geschehen, weil sich nun
(physikalisch) nicht mehr so viel CO2 in Wasser lösen
kann, und weil Kohlensäure in der Rückreaktion wieder zu CO2
und Wasser zerfällt.
Vorsicht: im Alltag wird der
Inhalt der sichtbaren Gasblasen häufig als "Kohlensäure" bezeichnet,
was falsch ist.
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