Didaktik der Chemie / Universität Bayreuth

Stand: 20.09.10

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Seminar zur Didaktik der Chemie I, WS 2005/06

Öffnen von Experimentieranleitungen

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1. Aufgabe

Von Natur aus sind Experimentieranleitungen für den Chemieunterricht geschlossen. Dahinter steckt wahrscheinlich eine immanente Bausteinfunktion: Experimentieranleitungen haben keine selbständige Funktion im Unterricht, sie sollen nur (für den Lehrer?) zeigen, wie ein Experiment funktioniert. Somit ist die Adresse einer üblichen Anleitung auch klar: der Fachmann, der Chemielehrer. Er erwirbt sich mit der Kenntnis und dem Ausprobieren die Fertigkeit, das Experiment nach zu vollziehen.

Das Experiment als Unterrichtsmedium ist ein völlig anderer Gesichtswinkel. Über die Rolle des Funktionierens hinaus muss das Experiment didaktische Funktionen erfüllen:

bulletes wird an einem didaktischen Ort eingesetzt,
bulletals Lehrerdemonstrations- oder Schülerexperiment,
bulletin letzterem Fall durchgeführt in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit
bulletbzw. in offeneren oder geschlossenen Aufgabenstellungen und/oder
bulleteingebunden in übergeordnete methodische Maßnahmen (Lernzirkel, forschend-entwickelnde Methode, projektorientierte Konzeption...).

Für die blanke Experimentieranleitung existieren Forderungen an eine "gute" Anleitung:

  1. Angabe des Ziels (methodisch und inhaltlich),
  2. vollständige Listung der benötigten Geräte,
  3. vollständige Listung der benötigten Chemikalien mit Hinweisen zur Sicherheit (Symbole, ev. R- und S-Sätze)
  4. detaillierte Beschreibung der Durchführung, damit die Gelingsicherheit gegeben ist,
  5. Beschreibung der zu erwartenden Beobachtung,
  6. Interpretation der Beobachtung,
  7. ggf. Erweiterung durch fachlichen Hintergrund,
  8. Formulierung eines Ergebnisses sowie
  9. verwendete Quellen, ggf. weiterführende Literatur.

Für den methodischen Einsatz genügen perfekte Anleitungen aus folgenden Gründen nicht:

  1. Schüler sind mit vollständigen Anleitungen nur bezüglich des Lesens gefordert.
  2. Lehrziele wie naturwissenschaftliches Denken schulen, Probleme formulieren und durchdringen lernen, zu lernen, wie man Lösungsmöglichkeiten vorschlägt, diskutiert und zur Umsetzung bringt, Kreativität einsetzt u.v.a.m. sind nicht erreichbar.

Im Seminar soll der Weg von der geschlossenen Experimentieranleitung mit Informationsfunktion für den Fachmann hin zur Anleitung mit didaktischer Funktion erkundet werden.

2. Planung der Lösung

Die Studenten arbeiten in drei Gruppen zusammen und suchen sich aus dem Repertoire des Experimentierkurses II je ein Beispiel aus, bei dem Schüleraktivität gesteigert werden soll. Dabei sollen Merkmale offeneren Unterrichtes wie in den Referaten besprochen eingesetzt werden.

3. Lösung und Stand der Ergebnisse

Erarbeitet und erprobt wurden:

3.1 Salze essen

Der an sich schon ungewöhnliche Versuch zu den Bereichen Sicherheitserziehung und Salze beinhaltet die Schwierigkeit, dass Schüler sich eine Experimentierstrategie ausdenken müssen und der zu beobachtende Effekt (Geschmack) nicht sehr eindeutig ausfällt.
Erstere wird dadurch gelöst, dass für die Handhabung essbarer Stoffe im Labor Sicherheitsmaßnahmen angeführt werden und der Lehrer dazwischen geschaltet wird, bevor die von den Schülern vorgeschlagenen Experimentiersubstanzen in Verwendung gehen.
Auf die zweite Schwierigkeit kann eingegangen werden, indem die Aufgabe weniger scharf formuliert wird: nicht "Welches Ion ist für den salzigen Geschmack verantwortlich" sondern "welches Ion schmeckt salziger".

3.2 Mischung und Reaktion

Hierbei sollen die Schüler mit dem Laufmittel für eine chromatographische Auftrennung experimentieren. Besondere Schwierigkeit: sie müssen zu Beginn des Chemieunterrichts eine recht genaue Vorstellung von der Funktionsweise der Methode und der Rolle des Laufmittels haben. Empirisch können sie dann weitere Forderungen an ein ideales Laufmittel ableiten, z.B. Güte als Lösemittel für die zu trennenden Stoffe.

3.3 Sicherheitsstreichhölzer herstellen

Die Zusammensetzung des Köpfchens zu erarbeiten wird als zu schwierig für den Anfangsunterricht angesehen. Bleibt der Brennstoff: hierfür können verschiedene Materialien auf Eignung getestet werden. Ähnliches bietet sich für die Reibefläche und Imprägniermaterialien an.

3.4 Schlussfolgerungen

Es war überraschend für die Studenten, dass sich manche Anleitungen sehr leicht etwas öffnen lassen. Die Schwierigkeiten bzw. das Ausmaß dürfte spezifisch für den Versuch sein.

Man sollte in Zukunft zwei Arten von Experimentieranleitungen unterscheiden:

  1. Experimentiervorschrift (für Lehrer). Diese Variante entspricht dem, was als "gute" Anleitung oben beschrieben wurde. Sie ist allein für die Hand des Fachmannes gedacht und soll es dem Lehrer ermöglichen, das Experiment fachlich zu erfassen, praktisch sicher umzusetzen, und ihm Ansatzpunkte liefern, wie er sie in den Dienst eigener Lehrziele stellen kann (Quelle, Literatur, URLs...).
  2. Methodischer Baustein (für Lehrer und Schüler). In dieser Variante steckt didaktische Arbeit eines Lehrers, der ein Lehrziel hat und das Experiment in den Dienst des Erreichens dieses Lehrzieles stellt. Ein und dieselbe Experimentiervorschrift kann im Dienst mehrerer z.T. sehr unterschiedlicher Lehrziele eingesetzt werden. Der Baustein enthält zusätzlich zu Handhabungsvorschriften eine Aufgabenstellung und ist für den nicht konzipierenden Lehrer bzw. für Schüler gedacht.

Je nach Intensität der Öffnung können sich noch mehr Varianten ergeben, von einfacher quantitativer Variation eines Eduktes mit Hinblick auf eine Optimierung von Ergebnissen bis hin zu schulischen Forschungsaufträgen im forschend-entwickelnden Unterricht.

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E-Mail: Walter.Wagner ät uni-bayreuth.de