Didaktik der Chemie / Universität Bayreuth

Stand: 20.09.10

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Seminar zur Didaktik der Chemie I, WS 2003/04

Unterrichtsskizze: Teilchenaufbau der Materie

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Methode: problemorientiert

Die Gliederungspunkte entsprechen Artikulationsstufen ("Phasen") des Unterrichtes:

  1. Problembewusstsein
  2. Planung der Lösung
  3. Lösung
  4. Diskussion und Abstraktion
  5. Festigung.

1. Einführung und Problembewusstsein

Mindestens drei Wochen vor dem Start der Einheit sollte begonnen worden sein, in Form eines Miniprojektes mit den Schülern Kristalle zu züchten. Nun liegen selbst "gemachte" Kristalle von Kantenlängen 1-2 cm vor.

Kristallwachstum ist ein faszinierendes Phänomen. Für Laien ist es unverständlich, wie "die Natur" so etwas zustande bringen kann. Interpretationsmöglichkeiten:

bullet"die ordnende Hand" einer höheren Macht; eine Beweisführung ist in den Naturwissenschaften nicht möglich. Religionswissenschaften argumentieren, Gott würde sich absichtlich unseren Untersuchungsmethoden entziehen und abgesehen davon sei es gotteslästerlich, sein Wirken "prüfen" zu wollen. Deshalb wird diese Möglichkeit mit den Glaubensanteilen als der naturwissenschaftlichen Arbeitsweise diametral entgegengesetzt nicht weiter verfolgt.
bullet"Die sind geschliffen", also der Eingriff des Menschen selbst. Nachdem Schüler selber die Kristalle "erzeugt" haben und die Möglichkeit, dass Lehrer am Nachmittag die Brocken zuschleifen, nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird, ist die Tatsache des natürlichen Wachstums in diesen regelmäßigen Formen (oktaedrisch, triklin-hexagonal oder würfelförmig) hinreichend bewiesen.

Nicht gelöst ist die Frage nach den Ursachen für regelmäßiges Wachstum.

2. Planung der Lösung

Als mögliche Lösungswege könnten die Schüler / der Lehrer vorschlagen:

bulletExperimentieren. Grundsätzlich in Chemie die beste Möglichkeit, zu Erkenntnissen zu kommen, aber wegen der Dimensionen, in die man schnell gerät, schwer oder gar nicht durchführbar. (Aber: siehe Modellexperimente unten).
bulletTeilchen mit dem Mikroskop beobachten. Dieser Vorschlag wurde in der Vergangenheit oft als Unsinn bezeichnet. Zuletzt hatte 1982 ein amerikanischer Physiker behauptet, "Atome wird man nie sehen können" - und im selben Jahr publizierten G. Binnig und H. Rohrer ihre Arbeiten am Scanning Tunneling Micoscope STM, mit dem gerade dieses möglich ist. Bilder:
www.berkeley.edu/news/media/releases/ 2001/06/20_physc.html
www.physics.ucf.edu/Research/ Nanostructures/afmstm/
Dennoch ist es nicht einfach, ein STM im Klassenzimmer vorzuführen, wenn auch durchaus möglich. Nach dem Betrachten von Bildern im WWW oder der Präsentation von Ausdrucken auf Folie (ggf. später zur Bestätigung) wird die Möglichkeit für den Unterricht ausgeschlossen.
bulletExperten fragen.
bulletModellexperimente durchführen. Hierfür benötigt man ein Modellsystem für die Kontinuumssicht und eines für die Diskontinuumssicht. Es wird diese Möglichkeit weiter verfolgt.

3. Lösung

Modellsystem 1: LEGO.

Modell: Man kann aus wenig unterschiedlichen LEGO-Steinen sehr unterschiedliche Objekte bauen: ein Haus, ein Raumschiff, eine Ritterburg. Wenn man diese Objekte wieder zerlegt, erhält man die ursprünglichen Bausteine unverändert zurück. Es fällt leicht, dasselbe Objekt wieder zu bauen. Die Schüler sollten mit den Modell-LEGO unbedingt umgehen, da sich die Handhabung von der des reinen Spielzeugs etwas unterscheidet.

Hinweis: Im Sinne der Ausbaufähigkeit sollten die Elementmodelle mit LEGO wie folgt eingeführt werden: ein Atom besteht stets aus einem Stein oder Balken der Länge 8, auf den einzeilige Platten mit der Zahl der Valenzelektronen aufgesetzt sind. Baut man daraus z.B. eine Mauer, dürfen die Platten angrenzender Steine so versetzt werden, dass eine lückenlose Konstruktion entsteht. Beim Zerlegen müssen sie allerdings an ihre alten Plätze zurück.

Eine Begründung für diesen Aufbau wird den Schülern zunächst noch nicht gegeben.

Modellsystem 2: Lehm, Töpferton oder Knetmasse.

Modell: Man kann aus einer Vorratsmasse Portionen herausgreifen und damit sehr unterschiedliche Objekte modellieren: ein Tier, ein Männchen (oder Frauchen), eine Vase. Wenn man diese Objekte wieder zerlegt, ist es praktisch unmöglich, dieselben Portionen wie beim Aufbauen zu erzeugen. Es fällt überhaupt nicht leicht, genau dasselbe Objekt per Hand wieder zu bauen (ob es der maschinellen Fertigung gelingt ließe sich diskutieren). Auch hier ist das Schülerexperiment zur Erfahrung des Effektes unbedingt nötig.

Zusammenfassung: Gegenstände scheinen aus (kleinsten) Bausteinen zu bestehen, die man wieder erhält, wenn man diese Gegenstände zerlegt.

4. Diskussion und Abstraktion

Zu Modellsystem 1: LEGO.

Vorstellung von der Realität: Man kann aus wenig unterschiedlichen Teilchen (Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff) sehr unterschiedliche "Objekte" (Verbindungen) herstellen: Essig, Zucker, Holz. Wenn man diese Verbindungen wieder zerlegt, erhält man die ursprünglichen Teilchen zurück: Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff. Aus diesen "Elementen" können Chemiker immer wieder dieselben Verbindungen synthetisieren. Der Lehrer kann die Realexperimente Verbrennen von Holz und Zucker zur Bestätigung vorführen: es entsteht bei beiden (schwarzer) Kohlenstoff (und...). Über Veränderungen an den Teilchen selber auf dem Weg zur Verbindung ist zunächst keine Aussage nötig.

Zu Modellsystem 2: Lehm, Töpferton oder Knetmasse.

Vorstellung von der Realität: Wäre Materie nicht in Teilchen portioniert sondern stets weiter teilbar, so könnte man aus einer Vorratsmasse Portionen entnehmen und damit sehr unterschiedliche "Objekte" (Verbindungen) modellieren: Zucker-, Kochsalz-, Kupfersulfatkristalle. Wenn man diese Verbindungen wieder zerlegt, dürfte es praktisch nicht zweimal vorkommen, dieselben Ausgangsteilchen wieder zu erzeugen. Genauso dürfte man es nicht schaffen, ein zweites Mal einen Zucker-, Kochsalz- oder Kupfersulfatkristall derselben Geometrie herzustellen. Im fachlichen Sinn sind hier zunächst weniger chemische Reaktionen das Lehrziel, sondern eher die physikalischen Ordnungsvorgänge wie Kristallisation. Für Lehrer und Schüler stehen eine Reihe von  Realexperimenten zur Verfügung, die stets dasselbe Ergebnis liefern und in manchen Fällen (1, 3) die Umkehrbarkeit deutlich erkennen lassen, z.B.:

  1. Bei der Verbrennung des Wachses eines Teelichtes entsteht immer Kohlendioxid (und Wasser). Der Nachweis geschieht über die Trübung von Kalkwasser.
  2. Bei der Zerlegung von Wasser im Hofmannschen Zersetzungsapparat entsteht immer Sauerstoff (Glimmspanprobe) und Wasserstoff (Knallgasprobe). Sauerstoff und Wasserstoff ergeben bei der Knallgasreaktion immer wieder Wasser.
  3. Aus grauem Zinkpulver in einer braunen Iodlösung (in Wasser) entsteht eine farblose Zinkiodidlösung. Elektrolyse der gefilterten Zinkiodidlösung liefert wieder (graus) Zink und (braunes) Iod.

Ein Modellsystem 3: Einmachfolie und Diskontinuum.

Von M. Oetken (PH Freiburg) stammt die Idee, mit Hilfe der Diffusion durch die Membran (hier: Einmachfolie) auf das Teilchenkonzept zu kommen. Eine Membran wird als sehr feines Sieb aufgefasst. Durch geschickte Wahl gefärbter Lösungen (Malachitgrün, KMnO4-Lösung können passieren, Jod/Stärke- oder Jod/Cyclodextrin-Komplexe nicht) steht die Frage im Raum: warum passieren die einen und die anderen nicht? Mögliche Erklärungen:

bulletKontinuum: eigentlich müssten alle Lösungen passieren können. Einwand 1: die Lösungen, die nicht passieren, sind zu zäh (Versuch der Entkräftung: Zähigkeit vergleichen bzw. messen); Einwand 2: wenn makroskopisch sichtbare Teilchen zufällig beim Lösen zerfallen würden, müssten sich unterschiedlich große "Endteilchen" ergeben; davon sollten manche so klein sein, dass sie dennoch passieren müssten.
bulletDiskontinuum: die Lösungen bestehen aus unterschiedlich großen Teilchen; die kleinen (Malachitgrün, KMnO4-Lösung) passieren die Löcher der Membran, die großen (Jod/Stärke- oder Jod/Cyclodextrin-Komplex) nicht.

5. Festigung

Verallgemeinerung: Materie besteht aus kleinsten Teilchen. Diese Teilchen können sich verändern, wenn sie mit anderen zusammentreten. Man kann sie aber wieder erhalten, indem man diese Veränderungen rückgängig macht. Sie haben dann dieselben Eigenschaften wie vorher. Beweise: Wasser, Zinkiodid.

Wichtig: Rückbezug auf die Einheit: Was ist der Unterschied zwischen einer Reaktion und einem Mischungsvorgang?

Zusammenfassung: Was haben die Schüler gelernt?

  1. Materie besteht aus kleinsten Teilchen. Kognitiv.
  2. Materie verändert sich (als Phänomen; Gesetzmäßigkeit steht noch aus). Kognitiv.
  3. Materie kann aus Teilchen zusammengesetzt und wieder in Teilchen zerlegt werden. Kognitiv; bei Umgang mit Modellen: auch Fähigkeit des Modelldenkens.
  4. Man kann durch theoretische Modelle (logisches Denken) auch zu einer Form von Ergebnissen gelangen. Fähigkeit des Modelldenkens.

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E-Mail: Walter.Wagner ät uni-bayreuth.de