Computereinsatz im
Chemieunterricht
Mediale
Funktionen von Lehr- und Lernprogrammen
Denken Sie hierbei nicht gleich an den (historischen) Programmierten
Unterricht. Die Programme nach skinnerschem oder crowderschem Muster wirkten, ob
auf Papier ob als Computerprogramm, so anregend wie ein Telefonbuch. Es war ein
Experiment und es liegt in der Natur von Experimenten, dass nicht alle
erfolgreich sind.
1. Beschreibung
Lehr- und Lernprogramme sind als Programmgattung viel
eher als eigenständige Medien zu behandeln als der Computer.
Folien:
Mögliche Typisierung von
Anwenderprogrammen
Dabei nimmt die Komplexität von oben nach unten zu:
| Elektronische Bücher sind nichts anderes als der Inhalt des
herkömmlichen Buches auf einem anderen Informationsträger, wobei den hohen
Gerätekosten und den Bedienproblemen der einsteigenden Schüler nur die
Vorteile beim Blättern gegenüberstehen. Im Zusammenhang mit Lexika ist das
durchaus ausreichend. Beispiele: CD-Römpp (Chemie-Lexikon), elektronische
Varianten des PSE. In allen anderen Fällen sollte man sich stets
vergegenwärtigen, dass über solch einfache elektronische Buchformen nur
der Einstieg in das Computerzeitalter in Form des Programmierten Unterricht
geschah. Der Begriff "Lernprogramm" stammt aus dieser Zeit und ist
gelegentlich mit dem Negativimage des Programmierten Unterrichts behaftet.
Letzterer war aber der lerntheoretische Stand der 40er Jahre und der
technische Stand der 60er Jahre. Der englische Begriff "electronic book
(e-book)" bedeutet heute allerdings etwas neues: einfache Lesegeräte
mit grossformatigem Schirm und Speicherkapazität für ganze Bücher, wobei
die Buchinhalte (auch an Schulbücher ist gedacht) aus dem Netz (natürlich
nach Entrichtung der nötigen Gebühren) hineingeladen werden. |
| Tools sind Programme, die dem Nutzer (komplizierte) Berechnungen
abnehmen, dem Lernen aber nur indirekt dienen, indem allein Aufgaben mit
verschiedenen Variablen berechnet werden. Bei der Frage, wie die
Ausgangswerte das Ergebnis beeinflussen, wird der Nutzer nicht unterstützt.
Beispiele: MolGen berechnet Strukturisomere zu einer gegebenen Summenformel,
SPARTAN unterschiedliche Modellansichten zu Molekülen, WinOrbit
Orbital-funktionen. |
| Übungsprogramme ("learnware", "drill-and-practice")
geben bereits einfache Rückmeldungen der Art "falsch" und
"richtig" und liefern eine Serie von Übungen. Die Inhalte
beschränken sich für den Chemieunterricht auf mathematisch orientierte
Inhalte. Einsatz finden sie im Anschluss an eine Lehreinheit in der
Festigungsphase. Beispiele: FormelTutor (Aufbau von rationellen Formeln),
ElektrochemischeZellen (Potentialberechnung von Galvanischen Elementen),
GibbsEnergetik (Reaktionsenthalpie-Verlauf nach Gibbs-Helmholtz). |
| Erst die Lehrprogramme ("teachware") zeigen mehrere
Elemente des Unterrichts (relativ klar definierte Zielgruppe, Verwendung
spezifischer Methoden, Methodenwechsel, Lern- und Festigungsphasen,
Lernzielkontrollen, Auslöschungsphasen, Übungsaufgaben...) so dass
Lernende sich mit dieser Art von Software einen klar umrissenen, noch
unbekannten Inhalt allein erarbeiten können. |
| Simulationen, bei denen das Arbeiten mit dem Modellsystem im
Computer Aussagen über das wahrscheinliche Verhalten des echten Systems
zulassen, sind in der Chemie noch selten; Ansätze findet man bei den etwas
älteren Programmen Abgaskatalysator, Blockcopolymerisation oder
Ammoniaksynthese. |
| In Modellbildungssystemen werden die Regeln, die einem System oder
einer Simulation zugrunde liegen, erst erarbeitet. Sie führen, wie der Name
sagt, zu einer Modellvorstellung zur untersuchten Thematik. |
| Tutorien wiederum sind schulspezifischer: sie betreuen den
Lernenden in umfangreicherer Weise.
Einfache Tutorien sind streng geführte Lehrgänge durch einen
Inhalt (Biochemie aus der Reihe CyberMedia, MOLiS zum Thema Isomerie,
Löslichkeitsprodukt), ergänzt durch Navigationshilfen,
Hintergrundinformation und interaktive Elemente.
Adaptive Tutorien und Intelligente Tutorielle Systeme (ITS)
erlauben dem Lernenden individuelle Lernwege und stellen sich auf
Vorkenntnisse, benutzertypische Fehler und Lernfortschritt automatisch
ein. Sie können im optimalen Fall den einfache Methoden benutzenden
Lehrer bei begrenzten Inhaltsgebieten ersetzen. Die zugrundeliegenden,
anspruchsvollen Techniken befinden sich aber noch im
Entwicklungsstadium. |
Ein gutes Lehrprogramm sollte den gleichen methodischen Grundsätzen folgen,
die für lehrergeführten Unterricht gelten. Die Übergänge zwischen den
Kategorien sind fließend, fortgeschrittenere Programmversionen können auf
komplexere Stufen aufsteigen. Lehrprogramme sind in gewisser Weise durchaus mit
dem Schulbuch zu vergleichen, obwohl der Informationsträger ein anderer
(CD-ROM, eine Festplatte an einem Server irgendwo) ist. Die didaktische
Intention ist aber die gleiche, nämlich zu einem (i.d.R. stärker begrenzten)
Thema einen abgeschlossenen Lehrgang zu bieten. In diesem Sinn handelt es sich
genauso um fremdgestaltete Medien.
2. Einsatz
Für den Einsatz gelten zunächst die gleichen Grundsätze
wie bei einem Schulbuch. Zusätzlich tun sich neue Möglichkeiten auf,
die ihren didaktischen Preis haben:
| Hypertext erleichtert das Blättern und das Zugreifen auf
Hintergrundinformation, kann aber bei geringer Disziplin vom Lernweg
ablenken. |
| Das Navigieren ist zwar bequemer, erfordert aber ein Mindestmass an
Fertigkeiten zur Bedienung eines Computers, seines Betriebssystems und
gegebenenfalls der Lernumgebung (doppelter Mausklick, Verschieben von "scrollbars",
Bedeutung von Symbolen). |
| Neue, effektive Visualisierungshilfen (Animationen, 3D-Formeln,
Video-Sequenzen) sind zugänglich, wollen aber fachgerecht bedient werden
(rechte Maustaste, Optionen einstellen, Plugins installieren...). |
Möglicherweise sind dies aber nur vorübergehende Schwierigkeiten, bis die
heutige Grundschulgeneration die nötigen Fertigkeiten wie selbstverständlich
aus dem privaten Bereich mitbringt. Gute Lehrprogramme ermöglichen
schülerzentriertes Arbeiten mit allen Vorteilen des selbst bestimmten Lerntempos
u.s.w. Anders als beim Schulbuch ist der Umfang kaum technisch beschränkt:
schon eine CD-ROM fasst deutlich mehr Bilder und Text und dabei ändert sich
ihre Masse nicht wesentlich. Mehr Übungen können integriert, Lösungswege
beschrieben, Zusatzinformationen dazugepackt und Auswahlhilfen für alternative
Inhalte realisiert werden.
Lehrprogramme unterstützen den schülerzentrierten Unterricht, ob im
arbeitsgleichen Gruppenunterricht im Computerraum oder als eine Aufgabe im
Rahmen des Stationenlernens eingesetzt. Die frühe Vermutung, Computer würden
zu sozialer Isolation führen, hat sich in der Praxis eher ins Gegenteil
verkehrt: fast jede Arbeit am Computer zeigt zwangsweise Elemente des sozialen
Lernens. Sofern der Lehrer die Methode verstärkt, kann nach dem Prinzip
"Lernen durch Lehren" ein erfahrener Nutzer
("Computerexperte") den anderen Gruppenmitgliedern bei der Bedienung
oder unvorhersehbaren Problemen (Rechnerabsturz, wenig logische
Bedienerführung, Handhabung interaktiver Sequenzen) helfen, während ein
anderer ("Fachexperte") die zugrunde liegenden fachlichen Inhalte schon
beherrscht.
Die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Jungen und Mädchen sollten nur in
Ausnahmefällen zur Aufhebung der Koedukation im Chemieunterricht führen. Eine
geschickte Zusammenstellung der Gruppen, zum Beispiel mehrere unterschiedliche
Experten in der Gruppe, oder ein Mädchenexperte und zwei Jungen, wird zum
beidseitigen Nutzen sein, so dass sich die Mädchen nicht in der Anleitung
verlieren oder die Jungen planlos herumprobieren.
3. Beispiele
Auf dem Markt befinden sich vergleichsweise wenige
Chemie-"Lernprogramme". Nur ein geringer Teil eignet sich für den Einsatz
in der Schule. Zum Teil ist die technische Realisierung dürftig, sehr oft
die didaktische Zielsetzung diffus und in vielen Fällen die englische
Sprache limitierend.
Folie:
Kleine Auswahl rezenter Chemie-"Lernprogramme"
4. Ausblick
In dem Maß, in dem Lernprogramme zunehmend eingesetzt
werden, wird sich der anspornende Charakter, der allein auf die seltene
Benutzung des Gerätes Computer zurückzuführen ist, verlieren. Die Chance, die
absolute Dominanz des Lehrers abzumildern, sollte ein Anreiz für die Didaktik
sein, verstärkt gute Angebote für den Chemieunterricht zu machen.
E-Mail: Walter.Wagner ät uni-bayreuth.de
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