Chemie

Chemie / Universität Bayreuth

Kästchenschreibweise für Elektronenkonfigurationen

Stand: 23.12.08

Frage:

Im Chemieunterricht der Jahrgangsstufe 11 bespricht man in Bayern die Übergangselemente. Ihre Einordnung in das PSE wird damit begründet, dass die energetische Reihenfolge der Teilschalen folgendermaßen lautet: 4 s, 3 d, 4 p ... Im Kästchenmodell füllt man die Elektronen dann auch in dieser Reihenfolge ein. Nun ergeben sich bei der Besprechung der Ionen dieser Elemente und bei den Komplexverbindungen folgende Probleme:

1. Ich betrachte z.B. Zn2+-Ionen. Bei der Bildung dieser Ionen werden zwei Valenzelektronen abgeben. Seltsamerweise entnimmt man diese dem energetisch tieferen 4s-Orbital und nicht den 3 d-AO. Warum?
Ähnliche Frage: Das Eisenatom hat die Elektronenkonfiguration (Ar) 4s2 3d6. Beim  Eisen(II)-ion geben Schulbücher die Konfiguration 4s0 3d6 an. Des weiteren wird angegeben, dass halb- und vollbesetzte Unterschalen wie p3 und d5 energetisch besonders stabil seien. Warum hat dann das Eisen(II)-ion nicht die Konfiguration 4s1 3d5?

2. In ähnlicher Weise habe ich Erklärungsschwierigkeiten bei der Darstellung der Elektronenkonfiguration von z.B. einem Hexaquaeisen(III)-Komplex. Wieder geht es um das Kästchenmodell. Warum füllt man die Elektronen der Liganden nicht nach dem Energiegehalt der Teilschalen in die entsprechenden Orbitale, also zuerst ein Paar in das 4 s-AO, dann drei Paare in die drei 4 p-AO, dann ein Paar in das 5 s-AO und schließlich ein Paar in ein 4 d-AO? In vielen Schulbüchern werden die Elektronenpaare 5 und 6 in zwei 4 d-AO gefüllt. Warum verstößt man hier auch wieder gegen die energetische Reihenfolge der Teilschalen bzw. Orbitale?

 
Antwort 1 von Prof. Peter Morys und Prof. Jürgen Senker, Anorganische Chemie I.
Zu Frage 1:
Die Elektronen der Valenzschale eines Atoms oder Atomions unterliegen im wesentlichen zwei gegenläufigen Krafteinwirkungen: Zum einen unterliegen sie der elektrostatischen Anziehung durch den Atomkern bzw. den Atomionenrumpf (Atomkern zzgl. die diesen in seiner Anziehungskraft abschirmenden Rumpfelektronen) sowie der abstoßenden elektrostatischen Wechselwirkung der Elektronen untereinander. Während die vom Atomkern ausgehende anziehende Wechselwirkung zu einer energetischen Anordnung der Valenzorbitale des Atoms führt, bei der die Orbitale gleicher Hauptquantenzahl dicht beieinander zu liegen kommen (siehe das H-Atom, bei dem die Atomorbitale gleicher Hauptquantenzahl völlig identische Orbitalenergien aufweisen), führt die interelektronische Wechselwirkung eher zu einer Energiedifferenzierung der Orbitale gleicher Hauptquantenzahl derart, dass E(ns) < E(np) < E(nd) wird. Der Grund hierfür ist in der unterschiedlichen Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen verschiedener Nebenquantenzahl zu sehen: Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der s-Elektronen ist kernnäher als die der p-Elektronen, und die der p-Elektronen wiederum kernnäher als die der d-Elektronen. Die s-Elektronen der Valenzschale tauchen daher tiefer in die Rumpfelektronenschalen ein als die Elektronen auf den Hauptquantenzahl-gleichen p-Orbitalen, erfahren dabei eine höhere effektive Kernladungszahl und bewegen sich mithin auf einem negativeren, d. h. energetisch stabileren Energieniveau als diese. Noch weniger tief tauchen die d-Elektronen auf ihren Orbitalen in die Rumpfelektronenschalen ein, weswegen sie die vergleichsweise höchsten Energiewerte aufweisen. Auf diese Weise kommt es infolge der interelektronischen Wechselwirkung dazu, dass das 4s-Elektronen-Niveau in einem neutralen Übergangsmetallatom energetisch tiefer zu liegen kommt als das 3d-Niveau dieses Atoms (Abb. 1a). Diese Aufeinanderfolge von Unterniveaus wird gerne so gelernt, gilt aber nur für das neutrale Atom. Es ist unzulässig, diese Erkenntnis zu verallgemeinern. Begründung:

Nimmt man Elektronen aus dem Atom heraus, reduziert sich die Abstoßung der Elektronen und die Orbitale kontrahieren. Dabei kontrahieren z.B. die 3d-Orbitale stärker und rutschen energetisch gesehen unter die 4s-Orbitale. Aus diesem Grund gibt es bei Metallionen der Übergangsmetalle keine s-Valenzelektronen mehr. Das gilt praktisch für alle zwei- und höherwertigen Metallionen, nur bei einfach geladenen Ionen gibt es gelegentlich Ausnahmen (Abb. 1b). Leider fehlt in Schulbüchern jeglicher Hinweis auf diesen Zusammenhang, so dass (schulbuchinduzierte) Lernschwierigkeiten vorprogrammiert sind.

Abb. 1: Zn-Atom und Zn2+-Kation

 

Zu Frage 2:
Das hier beschriebene Kästchenmodell entspricht der VB-theoretischen Sichtweise der Komplexbildung und -bindung von Linus Pauling. Dieses Valenzbindungsmodell wurde - im Hinblick auf eine deutlich wirklichkeitsnähere Beschreibung der Bindungsverhältnisse in Übergangsmetallkomplexen mit Hilfe der Molekül-Orbital-Theorie (MO-Theorie) - schon seit einiger Zeit aufgegeben. Eine VB-theoretische Beschreibung leidet gegenüber einer entsprechenden MO-theoretischen Behandlung eines Übergangsmetall-Komplexes unter dem Fehlen der an sich vorhandenen antibindenden MO-Orbitale innerhalb des Komplexes, welche sich aus der Kombination von Metall- und Ligandenorbitalen neben den bindenden Orbitalen zusätzlich ergeben. Dadurch müssen in einer VB-theoretischen Behandlung eines Übergangsmetall-Komplexes "künstlich" energetisch hoch liegende Orbitale besetzt werden, die in Wirklichkeit gar nicht besetzt werden. - Für die energetische Reihenfolge der Atomorbitale des im allgemeinen kationischen Zentralatoms in einem Übergangsmetall-Komplex gelten im übrigen die unter Punkt 1 genannten Gesichtspunkte (Reihenfolge der Atomorbitale etwa wie in einem modifizierten H-Atom).

 

Antwort 2 von Prof. Max Herberhold, Lehrstuhl für Anorganische Chemie II.
Den Widersprüchen liegen gleich zwei Probleme zugrunde:
bulletDie Kästchenschreibweise ist eine einfache Möglichkeit, die Elektronenkonfiguration bei Atomen nach dem VB-Modell zu notieren. Die Leistungsfähigkeit der Schreibweise ist mit den hier vorliegenden Anforderungen überschritten.
bulletZur Erklärung von Elektronenkonfigurationen bei Übergangsmetallkomplexen werden mehrere verschiedene Modelle herangezogen, z.B. VB-, Ligandenfeld- und MO-Theorie. Es muss klar sein, wo die Grenzen der Modelle liegen und wann welches der Modelle angewandt wird.

Zu Frage 1:
Die Kästchenschreibweise gibt innerhalb der VB-Methode die Elektronenkonfiguration der Metallatome korrekt wider (Abb. a), obwohl es auch schon da Ausnahmen von der Regel gibt, die mit der besonderen Stabilität halb- und vollbesetzter Schalen zusammen hängen (etwa Cr: 4s1d5). Im freien Ion (Abb. b) sind die d-Orbitale tatsächlich alle energiegleich und geringfügig höher liegend als die s-Orbitale des gleichen Niveaus.
Für Ionen liegen die Verhältnisse dann anders, wenn man die Einflüsse der Umgebung nicht mehr vernachlässigt. Die Ligandenfeld-Theorie kommt ins Spiel, d.h. die Elektronenbesetzung im Metall-Kation hängt von der Zahl und Stärke der Liganden ab. Nähern sich die Liganden dem Metall-Kation, sind die d-Orbitale nicht mehr äquivalent, sondern spalten in zwei Gruppen aus 2 bzw. 3 Orbitalen auf, von denen je nach Ligand die eine energetisch günstiger, die andere dafür ungünstiger liegt. Die Valenzelektronen (4s und 3d) verteilen sich je nach äußeren Gegebenheiten unterschiedlich. (Abb. c und d)
Dieser Effekt ist vergleichbar mit der Betrachtung des C-Atoms: für das freie C-Atom formuliert man s- und p-Orbitale, für das gebundene hingegen Hybridorbitale, je nach Fall sp3, sp2 oder sp - was zu unterschiedlichen Geometrien führt. Das gilt auch für das Zn2+. Je nach Ligand hat es tatsächlich mehrere Möglichkeiten: [Zn(CN)4]2+ ist tetraedrisch gebaut (sp3), [Zn(H2O)6]2+ oktaedrisch (d2sp3), [Zn(Gly)2] quadratisch-planar (dsp2). Hier tauchen also "vermischte" Orbitale aus 3d, 4s und 4p auf, womit man allerdings den Kenntnisbereich von Schülern einer Jgst. 11 verlässt. Solche Hybridorbitale lassen sich in der Kästchenschreibweise entweder nicht darstellen oder, wenn man es doch macht, dann sind die Kästchen eben gleich, so dass die Frage, ob die Elektronen aus dem s- oder d-Orbital stammen, überflüssig ist.

Abb. 2: Fe-Atom und Fe3+-Kation in unterschiedlichen Umgebungen.

Zu Frage 2:
Sehr ähnlich gestaltet sich die Antwort auch bezüglich [Fe(H2O)6]3+. Fe3+ ist nicht mehr frei, sondern wird im Ligandenfeld von 6 Wassermolekülen beeinflusst. Diese sind schwache Liganden, können also die fünf d-Elektronen gleichen Spins nicht zur Paarung (und somit teilweisen Spinumkehr) zwingen. 4s, 4p und zwei Orbitale aus 3d werden durch je zwei Elektronen des Wassers besetzt - das ergibt die Komplexbindung - und einen Teil der Begründung, warum 4s nicht mehr für die Elektronen des Eisens zur Verfügung steht. Der andere Teil der Begründung würde Grundlagen aus der MO-Theorie und Symmetriebetrachtungen erfordern, die auch Studenten im Grundstudium überfordern.

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